SCO, GNU und Linux

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SCO, GNU und Linux

Von Richard Stallman
23. Juni 2003

Die Vertragsstreitigkeiten von SCO mit IBM werden von einer schmutzigen Kampagne gegen das ganze GNU/Linux-System begleitet. Aber SCO hat dabei den offensichtlichen Fehler begangen, mir zu Unrecht zu unterstellen, ich hätte gesagt, Linux sei "eine Kopie von Unix". Viele Leser hatten den Braten sofort gerochen -- nicht nur weil ich gerade das nicht gesagt hatte, und auch nicht nur, weil derjenige, von dem das Zitat stammte, über Ideen sprach (die nicht Gegenstand des angelsächsischen Copyrights sein können) und nicht von Programmcode, sondern weil sie wissen, daß ich niemals Linux mit Unix vergleichen würde.

Unix ist ein vollständiges Betriebssystem, im Gegensatz zu Linux, das nur der Teil eines Betriebssystems ist. SCO nutzt das Unvermögen der Öffentlichkeit, zwischen Linux und dem GNU/Linux-System zu unterscheiden, um die Befürchtungen zu verstärken, die SCO zu verbreiten in der Lage ist. GNU/Linux ist das GNU-Betriebssystem, das mit einem Linuxkernel läuft. Der Kernel ist derjenige Teil des Systems, der bestimmt, wieviel von den Ressourcen des Rechners auf die einzelnen Programme verteilt werden, die darauf gerade ausgeführt werden. Dieser Teil ist Linux.

Wir haben GNU seit 1984 im Rahmen eines Projekts entwickelt, das Freiheit zum Ziel hat und das langfristig beabsichtigt, die nicht-freie Software zu beseitigen. GNU ist Freie Software. Das bedeutet, daß die Anwender frei sind, die Software auf ihrem Rechner einzusetzen, ihren Quellcode zu prüfen und ihn zu verändern (oder aber Programmierer zu beschäftigen, die das für sie tun). Freie Software darf weitergegeben werden (umsonst oder gegen Entgelt). Man darf auch veränderte Fassungen der Programme wieder veröffentlichen (siehe http://www.gnu.org/gnu/the-gnu-project.html).

1991 war GNU so gut wie fertig, nur der Kernel fehlte noch. 1992 schuf Linux Torvalds seinen Kernel, Linux, als Freie Software. Andere verbanden GNU und Linux, um das erste völlig freie Betriebssystem zu schaffen, GNU/Linux (siehe http://www.gnu.org/gnu/gnu-linux-faq.html). GNU/Linux ist auch wieder Freie Software, und SCO hatte sich diese Freiheit zunutze gemacht, indem es seine eigene Version davon verkauft hat. Heute läuft GNU mit verschiedenen Kernels einschließlich Linux, GNU Hurd (unserem eigenen Kernel) und dem NetBSD-Kernel. Es ist imgrunde das gleiche System, egal welchen Kernel man verwendet.

Diejenigen, die Linux mit GNU kombiniert hatten, hatten nicht bemerkt, daß sie genau dieses taten, und sie bezeichneten diese Kombination einfach insgesamt als "Linux". Die Verwirrung nahm zu. Viele Anwender und Journalisten nennen das ganze System "Linux". Weil sie auch den Kernel -- zu Recht -- als "Linux" bezeichnen, ist das Ergebnis nur umso verwirrender: Wenn man den bloßen Begriff "Linux" hört, kann man nur noch raten, auf welche Software er sich denn nun beziehen mag. Die unverantwortlichen Stellungnahmen von SCO sind voll von solchen vieldeutigen Bezugnahmen auf "Linux". Es ist unmöglich, ihnen insgesamt irgendeine zusammenhängende Bedeutung zu entnehmen. Sie scheinen das ganze GNU/Linux-System zu beschuldigen, nur eine Kopie von Unix zu sein.

Der Name "GNU" steht für den englischen Satz "GNU's Not Unix" (wörtlich: "GNU ist nicht Unix"). Das wichtigste bei der Entwicklung des GNU-Systems war gerade, daß GNU nicht Unix ist. Unix ist und war immer nicht-freie Software, das heißt es erlaubt dem Anwender gerade nicht, mit anderen Anwendern zusammenzuarbeiten und die volle Befehlsgewalt über seinen Rechner auszuüben. Um Computer in Freiheit und im Rahmen einer Gemeinschaft zu verwenden, brauchten wir ein freies Betriebssystem. Wir hatten einfach nicht das Geld, um das bestehende System zu kaufen und es dadurch zu befreien, aber wir hatten die Fertigkeit, uns ein neues Betriebssystem zu schreiben. Es war eine Riesenaufgabe, GNU zu schreiben. Wir taten es für unsere Freiheit und für Ihre Freiheit.

Den Unix-Quellcode zu kopieren, wäre zwar aus ethischer Sicht nicht verwerflich, aber es wäre unrechtmäßig. Die Folge davon wäre gewesen, daß die Anwender dadurch nicht in die Lage versetzt worden wären, als Gemeinschaft zusammenzuarbeiten, wie wenn wir rechtmäßig vorgegangen wären. Um sicherzustellen, daß wir Unix nicht einfach kopieren würden oder auch nur irgendetwas Ähnliches schreiben würden, sagten wir den Teilnehmern am GNU-Projekt, sie sollten noch nicht einmal einen Blick in den Unix-Quellcode werfen, wenn sie an GNU arbeiten. Wir entwickelten auch neue Designansätze, die von dem typischen Unix-Design abweichen, um sicherzustellen, daß unser Code dem Unix-Code nicht ähneln würde -- trotz unserer Überzeugung, daß das Verbot, Software kopieren zu dürfen, ethisch falsch ist.

Die Verwirrung wird noch weiter gesteigert durch den Begriff des "geistigen Eigentums", wie er von SCO verwendet wird. Dieser modische, aber letztlich doch sehr dumme Begriff beinhaltet ein sehr durchsichtiges Vorverständnis, indem er suggeriert, daß man mit Werken, Ideen und Namen nur eines machen dürfe: Sie wie Privateigentum zu behandeln. Weniger offensichtlich ist der Schaden, der dadurch entsteht, daß sich durch diese Auffassung das Denken vereinfacht. Ganz verschiedene Rechte werden dadurch miteinander vermengt -- das Urheberrecht, das Patentrecht, das Markenrecht und andere --, die wirklich nur sehr wenig gemeinsam haben. Dadurch meinen die Menschen am Ende, diese Rechte wären ein einziges Gebiet, nämlich "das Thema geistiges Eigentum". Sie denken nur noch "darüber" nach, so daß sich die Diskussion auf einem so abstrakten Niveau bewegt, daß die einzelnen gesellschaftlichen Aspekte, die von den jeweiligen Rechtsgebieten und -begriffen berührt werden, letztlich nicht mehr erkennbar sind. Jede "Meinung über das geistige Eigentum" muß daher von vonherein abwegig sein (siehe http://www.gnu.org/philosophy/words-to-avoid.html).

Einem Vertreter weitergehender Urheberrechts- oder Patentrechte an Software eröffnet der Begriff des "geistigen Eigentums" die Möglichkeit, das klare Denken über diese Zusammenhänge zu verhindern. In den Händen jemandes, der Drohungen ausspricht, dient dieser Begriff dazu, Verwirrung herbeizuführen: "Wir erheben den Anspruch darauf, Sie wegen allem Möglichen zu verklagen, aber wir sagen nicht, worum es dabei letztlich geht."

In einem tatsächlichen Prozeß würde solche Vieldeutigkeit natürlich dazu führen, daß die Klage keine Aussicht auf Erfolg hätte. Sollte es aber nur die Absicht von SCO sein, sozusagen einmal an dem Baum zu rütteln, um zu sehen, ob dadurch Geld zu Boden fällt, oder sollte SCO schlicht die Absicht haben, Angst zu verbreiten -- dann wäre es für sie sicherlich vorteilhaft, diese begriffliche Vagheit und Vieldeutigkeit beizubehalten.

Ich kann nicht vorhersagen, wie der Rechtsstreit zwischen SCO und IBM am Ende ausgehen wird. Ich weiß nicht, was in ihrem Vertrag steht, ich weiß nicht, was IBM getan hat, und ich bin kein Jurist. Der Justitiar der Free Software Foundation, Professor Moglen, meint, daß SCO seinen Code gegenüber der Allgemeinheit in der von ihr selbst unter der GNU GPL und anderen Softwarelizenzen verbreiteten Version von GNU/Linux freigegeben hat.

Was mir verbleibt ist, aus den Ereignissen Schlüsse für das GNU/Linux-Projekt zu ziehen. In einer Gemeinschaft von mehr als einer halben Million Entwicklern können wir nur schwerlich erwarten, daß es niemals irgendeine Form von Nachahmung geben wird. Das ist aber kein Unglück. Wir verzichten vielmehr auf diese Entwicklungen und machen weiter. Sollte es in Linux Material geben, das auf unrechtmäßige Weise entstanden ist, dann werden die Linux-Entwickler herausfinden, worum es sich dabei handelt, und sie werden es ersetzen. SCO kann seine gewerblichen Schutzrechte oder seine Verträge mit bestimmten Dritten nicht dazu einsetzen, die rechtmäßigen Beiträge von tausenden anderer zu unterdrücken. Linux selbst ist gar nicht mehr das wichtigste. Das GNU-System ist zwar in Verbindung mit Linux bekannt geworden, es kann aber heute auch mit zwei BSD-Kernels und mit dem GNU-Kernel eingesetzt werden. Unserem Projekt kann das alles deshalb nichts anhaben.

Richard Stallman ist Präsident der Free Software Foundation und Verfasser der GNU General Public License.

Deutsche Übersetzung von Jürgen Fenn, Jul 18, 2003.

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Updated: $Date: 2003/09/30 23:42:23 $ $Author: sinuhe $